∆ 56° – Sehnsucht Russland, 31.12.2015-24.1.2016 – (Überblick und Best-Of)
Neben Norwegen und Irland war auch Russland bereits in den 90ern eines meiner Sehnsuchts-Reiseziele. Was vielleicht auch daran lag, dass man als Kind der 70er nicht nur von der schieren Größe der UDSSR fasziniert war, sondern auch von der Unerreichbarkeit. Das damalige Weltbild in West-Deutschland gab kaum Anlass zur Diskussion (außer bei den paar linken Terroristen) – die Amerikaner sind die Guten, die Russen die Bösen und wir Deutschen dank Hitler die Arschlöcher der Welt. Kurz gesagt, die Weltkarte war wie ein Arsch, die linke Backe USA, die rechte die UDSSR und Deutschland war dort, wo es hingehörte. Russland, das war vieles, aber nicht Europa. Der höchste Berg Europas, das war der Mont Blanc, egal was einige Besserwisser von wegen Elbrus meinten. Das ist so weit im Osten, das kann doch gar nicht mehr Europa sein. Frankreich und Deutschland, das war Westeuropa. DDR und CSSR waren Osteuropa. Spätestens danach war Europa vorbei, da kam die UDSSR.
Mit Gorbatschow und Bush geriet das Weltbild Gut vs. Böse zwar etwas ins Wanken, aber das jahrzehnte lange Image in den Köpfen der meisten Westeuropäer ist wohl auch 20 Jahre später noch nicht grundlegend geändert und die Medien schüren auch heute noch gerne den Hass gegen Russland und den angeblich doch so bösen Putin.
In meiner Zivildienststelle Mitte der 90er gab es einen Fahrer, der hin und wieder mit einem Kastenwagen voller Spenden nach Russland fuhr. Ungeteerte Straßen und Schmiergelder gehörten damals noch zu Russlandreisen wie Vodka und Borschtsch. Aber die Zeiten ändern sich. Das Straßennetz ist – zumindest im europäischen Teil Russlands – mittlerweile häufig gut ausgebaut, korrupte Polizisten kaum mehr vorhanden. Nur Vodka und Borschtsch, das gehört weiterhin zu einer Russlandreise :-)
Was nun mich betrifft – Russland blieb (ohne weiter nachzudenken) ein eher unerreichbares Reiseziel und es gab streng genommen auch gar nichts, wo ich unbedingt hätte hinwollen. Musikalisch kaufte ich mir in den 90ern neben irischer Folklore auch eine CD mir russischer Folklore und zwei CDs von den Leningrad Cowboys. Als ich 2010 vom Kabel-TV auf Sat-TV umstieg, kaufte ich mir explizit eine Dual-Antenne, um auch Eutelsat Hotbird empfangen zu können, weil dort die italienischen Programme beheimatet sind. Ich nahm Musiksender diverser Länder auf und stellte fest, dass ich mit den arabischen/iranischen Musiksendern herzlich wenig anfangen kann, mit den russischen aber schon. Später fing ich auch mit russischen Internetradios an und so sammelten sich bis dato fast 400 russische Lieder in meiner iTunes-Bibliothek, inzwischen fast so viel wie französische Lieder.
Aufgrund meiner Vorliebe für russische Musik werde ich auch an jedem Berichtstag eines dieser Lieder verlinken. Den Anfang macht ein Lied, das viele von euch in der englischen Version aus den 1960’ern kennen werden, in Wirklichkeit aber aus Russland kommt und viel älter ist. Auch wenn es für mich nicht die schönste Version ist, verlinke ich hier erst zur ersten Version von 1925: Tamara Tsereteli mit “Дорогой длинною”, auf deutsch “Entlang der langen Straße” – und das passt ja zumindest (und vielleicht auch nur) vom Titel auch zu dieser Tour ;-)
.. und hier noch eine Version, die mir besser gefällt:
Durch die Musik begann ich so langsam, mich wieder mehr für Russland zu interessieren, schaute mir hin und wieder Dokus über Russland und russische Landschaften im TV an und nach meinen langen Reisen durch Skandinavien und Co setzte ich mir irgendwann das Ziel, in den nächsten 10 Jahren Russland im Sommer einmal von Ost nach West zu durchqueren – sind ja nur ca. 12.000 km bis Wladiwostok. Nur zurück muss man ja auch wieder…
Bei meiner Spanien-Skirundreise Anfang 2014 war ich mit meinen Französisch- und Italienisch-Kenntnissen soweit ausreichend zufrieden, da ich mich für Urlaubszwecke gut genug verständigen und Webseiten verstehen konnte und holte mir spaßeshalber ein paar Russisch-Lern-Apps und Podcasts. Es keimte die Idee auf, wg. ein paar netter Korblifte mal in die Ukraine zu fahren – dann kam leider deren Krise dazwischen, aber ich blieb am Ball, probierte diese und jene App, konnte auf der Balkan-Georgien-Armenien-Tour 2015 bereits ein paar russische Wörter anbringen und intensivierte meine Bemühungen, die jedoch auch jetzt noch weit unter meinem Italienisch-Niveau liegen. Obwohl Russisch nicht so schwer ist, wie man annehmen möchte – dank gemeinsamer Wurzeln mit dem Deutschen.
Nichtsdestotrotz sollten diese Bemühungen sehr sinnvoll gewesen sein, denn auf unserer Reise durch Russland hatten wir jede noch so kleinen Russisch-Kenntnisse brauchen können, sei es an der Hotelrezeption, beim Essen (Speisekarte), in Autowerkstätten oder an der Grenze. Wobei für die letzteren beiden mein Vokabular doch sehr schnell zu Ende war. Und solange die Wörter nicht zu lang sind, kann ich auch kyrillisch mittlerweile recht zügig lesen. Einige neue Wörter lernt man auf so eine Reise auch, auch weil man sie überall liest – wie z.B. Reifenwechsel, Felge, Autowaschen oder gratis. Einige Wörter kennt man z.B. aus dem Französischen, andere Wörter, wie z.B. Landschaft, Straf(e), Massstab oder Kaputt heißen auch im Russischen wie im Deutschen.
Was schon letztes Jahr für die Türkei galt, gilt auch heuer für Russland: Das Land hat mir sehr gut gefallen, auch die Küche. Es ist weit genug europäisch, damit man sich noch heimisch fühlt, aber es gibt doch genug, um sich in der Fremde, im Urlaub zu fühlen. Also Vergleichbar mit z.B. Italien, vieles ist gleich, einiges ist ungewöhnlich anders. Generell hatte ich mich in Russland (wie auch schon in der Türkei letztes Jahr) wohler (und heimischer) gefühlt als in so manchem Balkan-Land… Es wäre jedenfalls schön, wenn (wie früher einst) sich Russland wieder mehr zu Europa bekennen und West-Europa Russland wieder als Teil Europas wahrnehmen würde und z.B. beide Seiten jeweils ohne Visum reisen dürften.
Auch wenn ich hier nun bisher immer “Russland” geschrieben habe und das in Zukunft auch so belassen werden, korrekterweise haben wir ja die “russische Förderation” bzw. “russländische Förderation” besucht. Diese besteht aus mehreren (lt. Wikipedia 85) Republiken, Regionen, Gebiete usw., insb. im Kaukasus gab und gibt es hier ja immer wieder Spannungen zwischen den einzelnen, daher z.B. auch viele Polizei- / Grenzkontrollen an den Straßen.
Eigentlich hätten wir ja nicht nur nach Russland, sondern weiter nach Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan fahren wollen, wobei wir Skigebietsmäßig unseren Schwerpunkt in Kirgisistan (und 2 Gebiete in Usbekistan) gesetzt hätten. Kaukasus wollten wir dann hinten anstellen, je nachdem, wofür noch Zeit ist – da kann man prinzipiell ja auch mal bei einer 2-Wochen-Reise hin bzw. es mit der Türkei kombinieren. Im Ural haben wir kein wirklich interessantes Skigebiet gefunden, weiter im Osten gäbe es noch das eine oder andere, was man mitnehmen könnte, wenn es nicht so abseits läge, und in Karelien oder Lappland gab es auch noch ein paar Gebietchen, die uns interessant vorkamen, die wir aber auch eher ein ander Mal mit Skandinavien und vielleicht besser im Frühjahr besuchen wollten.
Aus diversen Gründen, die ich in den Tagesberichten schildern werde, sind wir leider nicht in unsere “Schwerpunktgegend” gekommen, so dass sich ein recht verzerrtes Bild zwischen Planung und Realität ergibt:
(Fotos anklicken zum Vergrößern)
^ Rot wäre in etwa unsere geplante Route gewesen – Blau war dann die tatsächliche Route, ca. 15.000km von/bis Hannover, somit ca. 16-17.000km von Innsbruck aus.
Um die Fahrstrecken mal kurz aufzuteilen:
West->Ost, Hannover – Saratow via Kiew: ca. 2.900 km
Süd->Nord, Elbrus – Grenze Norwegen: ca. 3.800 km
^ Strecke und POIs (rotes Ausrufezeichen – die Stellen, wo wir Probleme mit dem Fahrzeug bzw. in Werkstätten u.ä. waren)
Dazu hatten wir viel Pech mit dem Wetter und den geöffneten Liften in den Skigebieten – vom Skifahren her war die Balkan-Türkei-Kaukasus-Reise letztes Jahr viel besser. Nichtsdestotrotz hat uns Russland sehr gut gefallen, wir hatten viele tolle Erlebnisse und es sind auch genug tolle Bilder entstanden, hier ein kleines Best-Of:
^ Unzählige Male mussten wir das Auto an Grenzen und zum Reifenwechsel komplett aus- und einpacken
^ Reparatur der Lichtmaschine / des Generators
^ bei -20° ist die Gondel auch von Innen gefroren …
^ 2x hatten wir auf den Straßen Kareliens/Lapplands -38°, 1x sogar -39° … und einige Tage vorher nahe Sochi am schwarzen Meer +17° – macht eine Differenz von 56°! Hat man auch eher selten innerhalb einer Woche Autoreise …
^ das war übrigens kein Dampfzug :)
(Fortsetzung folgt.)